Fachkräftemangel oder Türöffner für neue Möglichkeiten

Fachkräftemangel oder Türöffner für neue Möglichkeiten

Ich gehe durch die Straßen und sehe in jeder zweiten Ecke einen Aushang mit „Fachkraft gesucht“. Sogar die Kinowerbung ist überschwemmt mit Spots zu Arbeitsangeboten. Der Fachkräftemangel scheint zeitgemäß, akut und aktuell. Als Antwort steht die Ausweitung auf eine 42-Stunden-Woche im Raum. Ich denke, das Thema eignet sich gut, die Dinge neu zu betrachten, den vermeintlichen Mangel als Symptom zu sehen und die wirkliche Ursache zu ergründen, Lösungen familienfreundlich und menschenwürdig zu gestalten und das Wachstums-Paradigma aus den 90er Jahren aufzulösen. Wenn bisherige Strategien nicht mehr zum Erfolg führen, ist es an der Zeit das Alte zu hinterfragen, etwas Neues auszuprobieren und sich so weiterzuentwickeln.

Aber der Reihe nach. Für diesen Blogpost habe ich schlaue Menschen gefragt, wie sie zu diesem Thema stehen.

Wenn es um das Ergründen von Symptomen und Ursachen im unternehmerischen Umfeld geht, dann ist Anja Wittenberger die richtige Adresse. Sie geht als „Detektivin für wirksame Arbeit“ den Themen auf den Grund und entwickelt tragfähige Lösungen in eine andere Richtung: „Mit der Begrenzung an Arbeitskräften /der Ressource Mensch als eine gesetzte Rahmenbedingung kann genau dort hingeschaut werden, wo Verschwendung betrieben wird, wo es Automatisierungs- und Digitalisierungspotenziale gibt, wo ich Personalentwicklung weiter als bis zur nächsten Schulung denken kann. Eine Unternehmung muss nicht immer nur im außen suchen, sondern kann genauso gut im Innen das Potenzial bergen. Organisationen können mit Rollen arbeiten, statt in Stellen denken und nach für die jeweilige Rolle notwendige Kompetenz sichten. Recruiting neu denken ist das Stichwort: statt nach der Eierlegendenwollmilchsau zu suchen ist die Fahndung und der Aufbau von bestimmten Kompetenzen und Potentialen entscheidend und in eine rollenbasierte Organisation fließen. Die Lösung liegt oft bereits im Unternehmen selbst.“

Beim Stichwort „Potenzial“ hat auch Katja Kremling, meine Sparringpartnerin vom Konnektiv62 und PurposeCoach, eine Meinung zu Ursache und Wirkung in Bezug zum Thema Fachkräftemangel: „Fachkräftemangel bedeutet, dass aus Ausbildung oder Studium beruflich qualifizierte Menschen gesucht, aber weniger gefunden werden. Meiner Ansicht nach dreht sich mittlerweile das Fachwissen mit der Entwicklung neuer Technologien und Vorgehensweisen so schnell, dass ich mich frage wie unser Bildungssystem dabei Schritt halten kann. Ich vertrete die Perspektive, dass es wichtiger ist Bewerber:innen nach Motivation und Persönlichkeit auszuwählen und im Unternehmen das fachlich relevante Wissen aufzubauen. Open-Spaces, Kanban-Camps, Wissensvermittlung von Mitarbeitenden zu Mitarbeitenden können hier eine gute Möglichkeit zum Aufbau der Fachkräfte von innen heraus sein. Es braucht lernende Organisationen und die Offenheit aller, nicht am eigenen Wissen festzuhalten, sondern bereitwillig zu teilen und Kolleg:innen zu empowern. Nur so können wir wachsen. Zudem empfehle ich Arbeitgebenden in ihre Attraktivität für Talente jeglichen Alters zu investieren und sich zu fragen: was biete ich Mitarbeitenden über die üblichen Benefits hinaus an? Welche Perspektiven kann ich auftun? Wie kann sich wer entwickeln? Welche Sinnhaftigkeit/Purpose habe ich, mit dem sich die Mitarbeitenden identifizieren können?“

Steffen Marx, als Geschäftsführer des Startups tagodi.com, gibt Einblick in seine Perspektive zum Thema: „Gibt es Fachkräftemangel? Na klar besteht dieser und wiederum nicht! Das Wort ist im Grunde unspezifisch und verallgemeinernd. Haben wir einen Mangel an erfahrenen Java-Entwickler:innen? In Deutschland sicher aber nicht überall in der Welt. Der Arbeitsmarkt ist halt ein Markt, wenn eine Ressource knapp wird, steigt der Preis. Zum Glück ist Gehalt, nicht alles! Arbeitgeber können sich alternative Strategien überlegen, um bei den begehrten „Fachkräften“ zu punkten. Die aufstrebenden und etablierten Firmen aus dem Silicon Valley haben definitiv weniger ein „Fachkräfte-Problem“. Es warten Abenteuer, Lifestyle, Coolness Faktor und die richtigen Rahmenbedingungen für das persönliche Vorankommen. Kleine oder traditionelle Unternehmen können trotzdem anziehend sein. Gibt es womöglich packende Geschichten, mit denen sich gesuchte Fachkräfte emotional identifizieren können? Denn langweilig verkauft sich nicht. In Zeiten, wo jede Stellenanzeige im Grunde gleich aussieht, braucht sich keiner wundern, dass das Gehalt das einzige Kriterium zu sein scheint. Warum nicht mal polarisieren oder originell sein? Andere Anforderung, andere Onboarding Prozesse, etc. schlicht anders nur nicht vergleichbar sein. Was beim Flirten gilt, gilt ebenso im Business „Attraction isn’t a choice“. Wir entscheiden nicht bewusst darüber, wen oder was wir anziehend finden. Anstatt ständig zu versuchen, sich sexy für alle möglichen Fachkräfte zu machen, lieber mal magnetisch für die zum Unternehmen passenden Fachkräfte sein. Oder fragen: Passt unsere Unternehmenskultur zu den Fachkräften, die wir gern haben wollen? Die Methoden von Elon Musk sind sicher umstritten, aber er ist klar damit, wer in seinen Unternehmen arbeitet und wer nicht. Polarisierung in Perfektion, extrem, dennoch eindeutig.“

Ein anderer Unternehmer teilte mir noch eine andere spannende Perspektive: „Es gibt genügend Unternehmen, wo die gleiche Arbeit jetzt mit der doppelten Anzahl an Mitarbeitenden erledigt wird, jedoch die Produktivität nicht auf dem gleichen Niveau ist. Wenn wir die „produktive Arbeit“ statt der „Beschäftigung“ wieder stärker in Betracht ziehen, dann sehen wir auch dass teilweise riesige Organisationsstrukturen nicht helfen, das Rad am Laufen zu halten. Sinnstiftend wird wohl in Zukunft auch klarer eine wertschöpfende Arbeit sein müssen. Wir können es uns schlicht schon lange nicht mehr leisten die wertschöpfenden Tätigkeiten nach Asien, Afrika oder wohin auch immer auszulagern.“ Fokus auf die Wertschöpfung und Konzentration auf die wirklich wichtigen Themen, die Verknappung kann durchaus auch als Chance gesehen werden, um die richtigen und wichtigen Tätigkeiten im Blick zu behalten.

„Und dann muss der neue Job heute gar nicht mehr zwingend mit einem Ortswechsel verbunden sein. #hybridwork“ heißt da das Stichwort, so die Sicht von Dietrich Eisold vom Impact Hub.

Was ist deine Meinung? Gibt es den Fachkräftemangel? Und welche Lösungen präferierst du? Suchst du im Außen oder schaust du auch nach innen?


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