ein Schmetterling in seiner ganzen Verwandlung

Die Theorie U

Die Theorie U von Otto Scharmer und wie ich diese verkannte

Es war am Anfang des Jahres, ich moderierte einen Tagesworkshop und wie so oft schon erlebt gab es einen Moment des Stillstandes. Es ist das Gefühl im Workshop, keinen Schritt weiterzukommen. Es fühlt sich an, als ob wir wieder am Anfang stehen und dabei noch keinen Meter gegangen sind. Es ist frustrierend, ohnmächtig und doch so ein wichtiger Punkt in einem Veränderungsprozess. Mittlerweile habe ich eine notwendige Gelassenheit entwickelt, um echte Transformation statt bloßen Aktionismus zu befördern. Vor ein paar Jahren machte mich dieser Zustand noch nervös.

In meinem laienhaften Verständnis zur Theorie U dachte ich bisher, dass dieser Moment den Bottom des U in der Theorie verkörpert, dass dieses Gefühl des Stillstandes der Wendepunkt im U-Prozess ist. Pusteblume und vielleicht doch sowohl als auch. Dazu aber später mehr. Tatsächlich steckt hinter der Theorie U von Otto Scharmer und seinem Team so viel mehr. Darf ich dir meine Erkenntnisse kurz darlegen? Ich gehe kurz auf mein Verständnis zur Theorie ein, spanne den Bogen zu Design Thinking und komme anschließend wieder zurück zur Workshopsituation mit dem Stillstandsmoment.

Was steckt hinter der Theorie U

Die Theorie U beschreibt einen Prozess, der echte Transformation individuell als auch in Organisationen ermöglicht. Dabei durchlaufen wir verschiedene Phasen, müssen echtes Zuhören zulassen und uns verletzlich zeigen können. Hierfür braucht es nicht nur den psychologisch sicheren Raum, sondern auch die Bereitschaft, sich auf diesen Zyklus einzulassen, statt unsere bisherigen Muster abzuspulen.

In unserer Normalität sind wir manchmal mehr manchmal weniger im Modus des Downloadings unterwegs: wir rezitieren das, was wir schon wissen und wiederholen dabei unsere eigene Schleife der Wirklichkeit. Dabei hören wir vielmehr unseren eigenen Gedanken und Denkmustern zu, statt uns auf ein Gegenüber einzulassen und in Beziehung zu treten. Erst wenn wir dieses Stadium erkennen und unsere gewohnten Denkmuster suspendieren, gehen wir dazu über, wirklich hinzusehen und unsere gelebte Realität mit einem „open mind“ wahrzunehmen. Unsere Wahrnehmung wird dabei konturierter / schärfer. Wir gehen an den äußeren Rand unseres individuellen Systems und schauen mit Neugierde und vorurteilsfrei auf unsere Wirklichkeit. Kennst du diese Art der Weltanschauung?

Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen wollen, können wir die Welt nicht nur sehen, sondern auch fühlen und spüren. Wir empfinden echte Empathie für unser Gegenüber, können uns in den anderen hineinversetzen und gehen in wirkliche Beziehung. Wir tauchen ein in die Welt des Gegenübers und nehmen seine oder ihre Welt mit dessen Augen wahr. Der Mensch hat so viel mehr Kanäle, Informationen aufzunehmen und so ist der Körper und die Gefühle eine weitere Ressource der Informationsverarbeitung. Es ist ein Stadium des „Sensings“, ich verlasse meine eigene Perspektive und bekomme ein Gefühl vom System.

In diesem Zustand, im Moment der echten Empathie findet ein Wendepunkt statt und ich komme in einer anderen Atmosphäre zu mir zurück. Es ist der Moment des Presencings: der Vergegenwärtigung einer möglichen Zukunft aus dem höchsten Potential. Es ist die Wahrnehmung eines Feldes in seiner ganzen Qualität und des Möglichkeitsraumes, das sich dadurch ergibt.

Dieser Wendepunkt beinhaltet ein Loslassen der alten Muster und das Fühlen des damit einhergehenden Schmerzes. Die Wahrnehmung eines höchsten Potentials einer möglichen Zukunft ist genau in diesem Moment möglich.

Im aufsteigenden U folgt anschließend das Verdichten und Kristallisieren einer zuvor nur gefühlten Zukunft. Die Zukunft wird in eine zugängliche Sprache gebracht. Darauf aufbauend folgen Prototypen und Experimente, um letztlich das Neue in die Welt zu bringen.

Insbesondere das Stadium des Presencing ist in meinen Augen noch sehr abstrakt und fern. Und doch lohnt es sich, diese Wahrnehmungsfähigkeit / diese soziale Technik für echte Transformation zu kultivieren. Das es funktioniert, zeigt Otto Scharmer in einer Vielzahl von Beispielen und auch in meinen Workshops erkenne ich die die unterschiedlichen Ebenen wieder.

Meine Analogie: die Nähe zum Design Thinking

In meinem Studium der Lektüre sprang mir die Nähe und Analogie zum Design Thinking direkt ins Auge:

Wenn das Team zum ersten Mal zusammenkommen, erfolgt in der Phase des UNDERSTANDES ein Downloading. In der darauffolgenden Phase, der Phase des OBSERVES steht es im Vordergrund, möglichst unvoreingenommen die Welt der Nutzer und Nutzerinnen wahrzunehmen. Durch das zuvor erfolgte „Abladen“ der Information, kann das Team open minded auf das Gegenüber zugehen und mit Fragen Informationen aufnehmen und Gefühle wahrnehmen. Empathie ist im Design Sprint der Schlüssel für gute Lösungen. Der Turning Point im Design Thinking ist die Phase des Point-of-views mit der Formulierung eines Problem Statements. Es ist zugleich auch der Übergang vom Problem- in den Lösungsraum. Es ist der Wendepunkt im Prozess. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich hier die Qualität des Presencings wahrnehmen. Die Ideationphase hilft der Konkretisierung und im Prototyping erkenne ich die direkten Korrelationen zur Theorie U.

Mit der Theorie U können Design Sprints so viel wirkungsvoller gestaltet werden.

Und was hat das alles nun mit dem Workshop zu tun?

Zurück zum Workshop, zurück zum Moment des Stillstandes. Es ist genau der Moment, der den Prozess eine Wende bescherte, wie so oft schon erlebt. Ich erkannte, dass es genau der Moment ist, einen Schritt zurückzugehen und der Wahrnehmung der echten Wirklichkeit Raum zu geben. Und dann erlebe ich, dass das Team alte Muster loslässt, bisherige Annahmen umkehrt. Es ist ein Durchlaufen eines Tals der Tränen und zugleich eine Geburtsstunde des Neuen. Genau das ist die Qualität des „Presencings“ nach der Theorie U. Für mich als Facilitatorin ist es umso wichtiger, diesen Moment zu halten, zu kanalisieren, fühlbar zu machen, sofern das Team bereit dazu ist.

Und nun zu dir: kanntest du schon die Theorie U? Hast du die einzelnen Phasen in Workshops schon erlebt? Was sind deine Erfahrungen? Schreib mir gern, ich freue mich auf den Austausch und neues zu lernen.

Yvonne Horn

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